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Nein, hier gibt's keine Informationen zu meiner Familie, "nur" Infos zu meinem neuesten Projekt.

Ich habe am Weltpoesiefestival "Zwischen unseren Worten - Literatur überwindet Grenzen" teilgenommen, bei dem 16 Künstler ihre Interpretationen eines Gedichtes umsetzten. Das Festival fand vom 8. - 12.September statt und wurde von Autor und Kunstvereinsmitglied Peter Völker (www.petervoelker.de) in Kooperation mit der Stadt Rödermark organisiert. Das Los, das Schicksal oder auch die Götter haben mir das Gedicht "Mein Stammbaum" von Mindy Zhang, einer in Los Angeles lebenden Exil-Chinesin zugeteilt.

Ich habe das Gedicht aufgenommen, meinen MP3-Player geschnappt und bin erstmal ab in den Wald und es mir mindestens 20 mal angehört.

Und das ist dann dabei heraus gekommen...





mein stammbaum

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Mindy Zhang;
Mein Stammbaum

Es war einmal ein Wald, in dem mein Stammbaum stand,
darüber brannten jede Nacht zehn Sonnen – und Großmutter
konnte nicht schlafen. In der zweiten Hälfte jeder Nacht
gebar sie ein Kind, bis sie die letzte Blüte verfüttert hatte.

Großvater wurde ärgerlich, er nahm einen Ast und vertrieb die Sonnen,
neun auf einen Streich. Nur eine blieb am Himmel hängen, die uns
Geschichten erzählte, jeden Tag. Es war einmal eine Geschichte:
Jeden Tag kroch die Sonne in einen Baumstumpf, und morgens
kroch sie heraus, um meine Großmutter zu sehen, eine junge Frau

aus dem Wald von Shennongija, die wie ein Berg zu liegen schien,
den Körper voller Leben. Sie hatte so viele Kinder gehabt, dass die
Sonne nicht von ihr lassen konnte, ihre brennenden Blicke
kamen nicht von ihr los. Großvater tobte und wollte die

letzte Sonne töten, bekam aber aus Versehen einen Schlaganfall
und entschlief. Der Himmel riss auf. Zehntausend Jahre lang versank
meine Familie im Regen, alle Kinder gingen unter
und wurden Wasserhyazinthen. Schließlich erhob sich Großmutter,

stand plötzlich auf und wurde so groß, dass der Duft ihres Körpers
die Löcher im Himmel verschloss. Die Flut ging zurück, es wurde friedlich,
die Sonne ging wieder auf und beschien meine Großmutter
fünftausend Jahre lang in einem fahlen Gelb – Tag für Tag.

Tag für Tag langweilte Großmutter sich und knetete Menschen
aus Lehm und Split, einen ganzen Haufen davon, mit der Haut der Sonne
und den Augen der Nacht, immer mehr, die sie alle zugleich verstreute,
damit sie sich mehrten, Tag und Nacht. Einer davon war mein Vater,

ein Bastard aus der Tang-Zeit mit vielen Namen. War er betrunken
sang er von Frauen, oder von einem Mond, der frei erfunden war.
War er traurig beklagte er Sandstürme und Staub. Das heißt:
Es war einmal ein Li Bai, und wenn es keinen Mond am Himmel gab,

dann dachte er solange daran, bis der Mond für ihn aufging.
es war einmal ein Du Fu, der sich die Flüsse selber malte,
wenn gerade keiner zur Verfügung war - zuerst den Huanghe,
der durch die Ebene fließt, und dann den Yangtse,
der über den Himmel strömt. In der alten Zeit hörten alle Flüsse auf ihn,

er winkte einmal und sie flossen nach Osten, flossen ins chinesische Meer,
und selbst der Wind und das Schilf folgten seiner Richtung - was ihn so langweilte,
dass er nach Hause ging und Landwirtschaft betrieb, dass er
Himmel und Erde in Rechtecke schnitt, um Reis und Weizen anzubauen.

Eines Abends stieg meine Mutter vom Mond und folgte den quadrierten Feldern,
ihr ganzer Körper war Jasmin, und um sie das Licht der Weberin.
Vater wollte sie begrüßen, wusste aber nicht, welchen Namen
er ihr gegenüber verwenden sollte. Er zögerte und sie stieg weiter hinab.

In ihrem weißen Kleid trug sie das Licht von hundert Jahren Einsamkeit.
Sie streckte ihre Hand aus und berührte meinen Vater – ich habe ihn nie gesehen -
und kaum hatte sie ihn berührt wurde er zu Stein,
da wurde er unsterblich. Es war einmal ein Stein,

auf dem die Menschen sich mehrten, regellos, eine Berührung genügte,
oder ein kurzer Blick, ein Blinzeln, eine Berührung -
und schon gab es Leben, gab es Tod, gab es Liebe, gab es Trennung auf Leben und Tod.
Wie man eine Margerite anknipst, so hat diese Frau im Mond mich

geboren. Ich öffnete die Augen und sah, wie sie in meinem Licht
nach oben schwebte, wie sie in ihrem kalten Himmel schwebte, eine Pipa
mit gerissenen Saiten im Arm. Darum heiße ich Pipa: Eine Art Licht
aus zwei Quellen, die sich gegenseitig blank reiben, gegenseitig spielen,

die nie ihre Fehler eingestehen – niemals friedlich sind.
Ich kam in ein neues Land, wo es Steine und Stelen und Statuen gab,
überall, und den ganzen Frühling roch es nach Tod.
Ich hob den Kopf und sah meine Mutter –

im April, wenn der Himmel tief hängt, höre ich sie atmen,
höre den Klang ihres Spiels, der auf die Berghänge fällt,
die Berghänge eines fremden Lands. Ich schreibe Sonne
und die Sonne geht auf, ich schreibe Mond und der Mond bleibt stehen.

Meine Schriftzeichen sind Steine, die bei Berührung zu Blüten werden -
in dieser Jahreszeit stirbt der Tod kein zweites Mal. Alle Blüten an allen
Bäumen öffnen die Augen, sie sehen meine Ahnen, sie leben in meiner Haut.
Es war einmal meine Haut, auf der ein Schatten lag, ein Baum und dann
ein Licht. Da ist immer ein Schatten, bevor das Licht kommt.